NEIN
- Windgedanken

- 31. Aug.
- 4 Min. Lesezeit
Ich möchte sagen, was ich denke. Ich möchte eine Meinung haben und diese äußern. Ich möchte laut und deutlich gehört werden. Ich möchte Nein sagen können.

Aber stattdessen schweige ich. Es nervt mich so sehr, dieses antrainierte leise sein, nur nicht unbequem auffallen oder anecken oder vielleicht nicht gemocht werden. In vielen Situationen ist es mir egal, was andere über mich denken. Aber sobald es um einen Typen geht, werfe ich Dinge über Bord, von denen ich dachte, dass sie zentrale Werte von mir sind.
Ich will Raum haben und ich selbst sein können und mich nicht anpassen, nur weil er ein Mann ist. Nur weil ich als Frau diese Rolle einnehmen “sollte”, die ich jahrelang erlernt habe. Leise, angepasst, unterstützend. Ich stärke ihm den Rücken, damit er seine Träume verwirklichen kann. Nö. Will ich nicht. Ich will nicht eingesperrt werden. Ich will mich nicht für eine andere Person zurücknehmen. Ich will diese Rolle nicht. Jede von uns hat etwas zu sagen und jede von uns hat das Recht darauf, Raum einzunehmen, unbequem zu sein, unangepasst zu sein.
Diese blöde People Pleasing Kultur, die dir eingetrichert wird, bis du vergessen hast, dass du auch noch eigene Bedürfnisse hast. Bis du davon überfordert bist, wenn dich jemand fragt, was du möchtest. Bis du dich schlecht fühlst, wenn du sagst, was du möchtest (oder nicht möchtest). Bis du verzweifelt bist, wenn dir jemand nicht sagt, was er möchte und du dadurch nicht weißt, was du tun sollst. Wirklich, das ist crazy, wie sehr ich das verinnerlicht habe.
Und ich will dazu sagen, dass ich mich eigentlich nicht als besonders angepasst beschreiben würde. Ich entscheide mich in vielen Situationen für meine eigenen Bedürfnisse und nehme in Kauf, dass das jemand anderes gerade nicht klasse finden könnte. Aber stelle mir einen Typen vor die Nase, an dem ich interessiert bin, und ich vergesse einfach einen kompletten Teil meiner Identität. Nämlich dass ich hervorragend allein klarkomme, definitiv introvertiert bin und wirklich gar keine Lust habe, falsche Verantwortungen zu übernehmen. Ich will anderen nicht gefallen, wenn ich mich dafür verstellen muss. Ich will mich nicht kümmern oder umsorgen oder geduldig sein oder verständnisvoll, wenn ich eigentlich widersprechen möchte. Und ich verstelle mich tatsächlich auch selten. Wenn ich in neuen Situationen erstmal überfordert bin, dann ist das eben so, das überspiele ich nicht. Man merkt mir an, wenn ich etwas nicht gut finde. Ich sage Dinge nicht, nur weil sie jemand gerne hören möchte. Authentizität ist einer meiner Kernwerte.
Und dann gibt es diese Situationen, in denen das alles nicht mehr gilt und jedes Mal endet es – oh Wunder – im Disaster. Plötzlich denke ich, dass ich für jemanden nicht gut genug bin, weil ich nicht zu allem “ja, kein Problem” sagen möchte. Und ich mache es trotzdem. Ich mache es, obwohl etwas in mir Nein schreit. Ich nicke und lächle und widerspreche nicht und bin leise und bin währenddessen genervt von mir und gebe mir am Ende noch selbst die Schuld dafür, dass ich mich in einer Situation nicht wohlfühle. Wofür? Wofür gebe ich mir bitte die Schuld? Daran, eine Persönlichkeit zu haben? Nicht perfekt zu sein im Sinne von abgerundet, ohne Ecken, und anpassbar an jede Situation? Wer findet das gut? Findet irgendjemand wirklich solche nicht greifbaren, sozial-Camäleon-Menschen gut? Ja, wahrscheinlich schon. Aber das bin ich nicht und ich bin auch wirklich nicht gut darin. Ich bin nicht easy-going. Und ich bin deshalb trotzdem nicht dramatisch, zickig oder zart besaitet.
Wenn ich mit all den Dingen, die mir wichtig sind, die für mich nicht verhandelbar sind oder die ich nicht machen oder sein möchte, selbstbewusst umgehen würde, dann würde das wahrscheinlich auch nicht infrage gestellt werden - im privaten Kontext. Wenn ich deutlich Nein sage, dann wird das gehört. Ich umgebe mich ja nicht mit Menschen, die das nicht akzeptieren. Und trotzdem schrillen in mir die Alarmglocken, weil ich von den antrainierten Vorgaben in mir abweiche, wie ich sein sollte. Ich fühle mich schlecht und will mich entschuldigen und habe das Gefühl, einen Fehler gemacht zu haben, weil mein Nein bei meinem Gegenüber vielleicht negative Emotionen ausgelöst hat. Oh nein. Was mache ich jetzt nur. Warum spielt es keine Rolle, dass ich Nein gesagt habe, weil das Verhalten der anderen Person zwei Minuten vorher BEI MIR negative Emotionen ausgelöst hat? Warum ist das weniger wichtig? In meinem Kopf entsteht diese Hierarchie, die gemein mir selbst gegenüber ist. Ich gaslighte mich selbst, bevor es jemand anderes machen kann. Noch bevor der andere etwas sagen kann, denke ich schon “tut mir leid, dass ich so bin”. Noch bevor ich tatsächlich einen Fehler machen kann, noch bevor ich einen möglichen Konflikt auslöse.
Das macht mich so wütend, wenn ich das schreibe, weil ich weiß, was für ein Mist das ist. Ich möchte mich hinstellen und sagen “hey, das bin ich und wenn du damit nicht klarkommst, dann kennst du den Weg zur Tür”. Ich will bedingungslos hinter mir stehen, hinter all den Erfahrungen, die ich gemacht habe, hinter Stärken und Schwächen und all den Dingen, die mich zu der Person machen, die ich bin. Ich will mich NICHT entschuldigen. NEIN. Nicht ICH bin der Fehler. Mit MIR ist nichts falsch. Und ich muss auch niemandem dankbar sein, wenn er gerne Zeit mit mir verbringt. Ich muss nichts leisten, um gemocht zu werden. Ich muss mich nicht anpassen, um akzeptiert zu werden. Ich muss mich nicht erst verändern, um genug zu sein. NEIN. NEIN. NEIN.
Inspiriert von: Nö - Eine Anstiftung zum Neinsagen von Maike Schöfer



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