Einsamkeit
- Windgedanken

- 23. Aug. 2024
- 4 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 29. Dez. 2024
Ich habe das Gefühl, dass mich Menschen früher verlassen als ich bereit dafür bin. Vielleicht liegt das in der Natur der Sache, weil wir eigentlich nie wirklich bereit dafür sein können, uns dem Verlust zu stellen. Und doch schaffen wir es, damit umzugehen, wenn er da ist.

Ich war nie die Person, die viele Freunde hatte. Ich mochte es immer, unter Menschen zu sein, aber ich wollte nicht der Mittelpunkt sein oder ein aktiver Teil. Das Zuschauen war mir lieber. Während der Schulzeit kam ich gut damit zurecht, vermutlich auch, weil ich als introvertierter Mensch in einer 5-köpfigen Familie grundsätzlich zu wenig Zeit für mich hatte. Es war immer etwas los und meistens war es auch laut. Damals wusste ich noch nicht, dass mich Menschen Energie kosten. Ich habe nur gemerkt, dass ich es nicht oft brauchte, mich auch noch außerhalb der Schule, mit Freunden zu treffen. Und wenn, dann nur mit denen, die mir vertraut waren. Ich gehörte dazu, das war mir genug.
Heute hat sich einiges verändert. Meine Lebensumstände liefern mir nicht mehr automatisch genug Menschenkontakt. Ich versuche also die Balance zu finden zwischen Freundschaften schließen und pflegen und mir dabei aber auch erlauben, das Alleinsein zu genießen. Es fühlt sich manchmal immer noch falsch an, dass es mir so gut geht, wenn ich allein bin. Ich frage mich immer noch zu oft, was mit mir verkehrt ist. Warum sehne ich mich nicht nach einer Freundesgruppe, mit der ich in den Urlaub fahren kann? Warum genieße ich es nicht, den ganzen Tag mit Freunden unterwegs zu sein? Warum-Fragen führen nirgendwohin. Sie tragen immer einen kleine Vorwurf mit sich. Warum bist du so und nicht anders? Das ist nicht wirklich nett. Viel lieber frage ich mich stattdessen, was ich brauche. Ich trage eine Kette um den Hals, die mich genau an diese Frage erinnern soll: Was brauche ich? Ich brauche Menschen. Ich brauche Kontakt und Austausch und ein Gefühl von Zugehörigkeit. Das bekomme ich, indem ich zum Beispiel auf der Arbeit mit meinen Kollegen die Mittagspause verbringe. Für engen Austausch reichen mir zwei oder drei gute Freunde. Je nach Tagesform ist meine soziale Batterie nach zwei bis drei Stunden aufgebraucht. Am meisten Energie bekomme ich in der Natur, umgeben von Bäumen. Die schönsten Erlebnisse sind für mich die, in denen ich tief durchatmen konnte. Das brauche ich.
Vermutlich suche ich mir dadurch Menschen, die auch eher so ticken wie ich. Die nicht auf Freunde angewiesen sind, um ihre Energie aufladen zu können. Mir sind nicht viele Menschen wichtig, aber bei den wenigen, die es sind, tut es sehr weh, wenn sie gehen. Ich habe so bereits Freundschaften verloren, die ich gerne für immer behalten hätte. Meist war es die Entfernung, die letztendlich dazu geführt hatte, dass sich einer von beiden nicht mehr meldete. Manchmal funktioniert es, zu oft nicht.
Ich denke oft an all die Menschen in meinem Leben, die mir einmal viel bedeutet haben. Manche von ihnen vermisse ich immer noch. Bei ihnen habe ich mich noch ein paar Mal gemeldet, bevor ich merkte, dass mein Gegenüber die Energie nicht mehr investieren wollte, um in Kontakt zu bleiben. Lag das an mir? War ich keine gute Freundin? Oder zumindest niemand, der es wert ist, um über die Distanz hinweg in Kontakt zu bleiben? Zu oft bekommen wir keine Erklärung, wenn eine Person beschließt, dass wir nicht länger Teil ihres Lebens sein sollen. Mich selbst hat das so sehr geprägt, dass ich mich jetzt umso mehr bemühe, niemandem dieses Gefühl zu geben. In meinem Kopf bleiben die Situationen hängen, in denen ich das Gefühl hatte, etwas zu verlieren, das ich gerne behalten hätte. Die Schulfreundin, mit der ich so viel erlebt habe, die aber ihrem alten Leben nach dem Abi den Rücken gekehrt hat. Der Exfreund, der meinte, dass wir Freunde bleiben können, sich dann aber nie wieder gemeldet hat. Die Freundin aus Kindertagen, die immer gerne mit mir telefoniert, aber nie von sich aus fragt, wie es mir geht. Der Freund aus dem Studium, mit dem ich so viel geteilt habe, der jetzt auf meine Nachrichten monatelang nicht antwortet.
Vielleicht hänge ich zu sehr an den Dingen. Vielleicht ist mir diese Welt zu schnell geworden, zu austauschbar, während ich lieber an etwas Altem festhalte, es neu belebe, die Erinnerungen hervorhole. Ich glaube, dass Freundschaften, ebenso wie romantische Beziehungen, nur durch Zeit zu etwas wirklich Wertvollem werden können. Wenn du sie nicht wachsen lässt, gehen sie ein, bevor sie blühen konnten. Vielleicht ist es zu leicht geworden, Menschen zu ersetzen. Wenn dir jemand nicht gut genug ist, dann kannst du einfach weiterziehen. Doch wirst du jemals jemanden finden, der keine Schwächen hat? Ich bin bereit dafür, Energie und Zeit in Freundschaften zu investieren, aber vielleicht wollen das zu viele in meinem Alter gar nicht mehr. Vielleicht wollen sie es leicht haben, nicht viel Aufwand betreiben, sondern einfach nur eine gute Zeit haben. Vielleicht bin ich ihnen zu kompliziert mit meinen Gedanken, den Fragen nach dem Sinn des Lebens und der Ambivalenz zwischen Promotion und Emotion. Ich versuche mein Bestes, versuche aufmerksam zu sein, mich an Dinge zu erinnern, nachzufragen und mir Zeit zu nehmen. Vielleicht versuche ich zu sehr, eine gute Freundin zu sein und vergesse dabei, ich selbst zu sein. Vielleicht zeige ich den Menschen, die mir wichtig sind, zu wenig, wie viel sie mir bedeuten.



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