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Ich bin 22.

  • Autorenbild: Windgedanken
    Windgedanken
  • 21. Apr. 2024
  • 4 Min. Lesezeit

Aktualisiert: 5. Mai 2024

Ein Blick zurück und die Frage, ob ich heute wirklich mehr weiß.

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Damals. Ich bin die ganze Zeit auf der Suche, aber bisher kam noch niemand um die Ecke und meinte "hey, ja genau, das bist du". Obwohl ich danach Ausschau halte. Ich höre in mich hinein und suche nach diesem Kern, der sich wie Ich anfühlt. Ich weiß nicht, ob ich ihn dann Seele, Selbst oder Lebensfunken nennen würde, aber aus irgendeinem Grund bin ich mir sicher, dass ich ihn erkennen würde. Manchmal bin ich mir ganz sicher, dass ich genau weiß, was ich tun soll. War es dann nicht dieser Kern, der gesprochen hat? Und dann fällt alles in sich zusammen und ich frage mich, ob ich nicht einfach von vorne anfangen sollte. Nochmal ganz neu starten. Mein Leben völlig auf den Kopf stellen und mich neu erfinden. Was würde dann mit meinem Selbst passieren? Verändert es sich mit? Oder gibt es gar nicht diese eine Sache, die mich zu mir selbst macht, die alles irgendwie zusammenhält?


Der Buddhismus lehrt, dass es kein fixes Selbst gibt. Mit dieser Lehre komme ich das erste Mal im Alter von 21 in Berührung. Ich nehme an einem 3-tägigen Camp für Studierende teil, bei dem wir täglich mehrere Stunden meditieren und zwischendurch Impulse und Workshops besuchen. Wir bekommen Einblicke in die buddhistische Lehre und es gibt viel Raum, uns mit unserem Inneren auseinanderzusetzen, zuzuhören, zu beobachten. Wir stehen früh auf, beginnen den Tag mit einer Gehmeditation, um im Anschluss daran in Stille sitzend zu meditieren. Überhaupt findet alles in Stille statt. Die Impulse und Workshops sind dabei eine Ausnahme, doch den Großteil des Tages bewegt sich jeder von uns schweigend über den Klosterhof. Mich beschäftigen damals viele verschiedene Dinge, die sich alle so groß anfühlen. Als wären sie ein Teil von mir. Zu diesem Gefühl passte es nicht, dass wir ein veränderliches Selbst haben sollen. Wie kann das sein, wenn ich in jedem Moment die Last in mir spüre? Müsste sie nicht weggehen, wenn meine Seele ständig neu entsteht? Wie kann der nächste Moment von dem vorherigen beeinflusst werden, wenn alles in ständigem Fluss ist?


Ich identifiziere mich vollständig mit den Herausforderungen, denen ich jeden Tag gegenüberstehe. Ich kämpfe um jedes Lächeln. Wenn mich jemand fragt, dann bin ich diejenige, die Probleme hat. Ich bin die, die sich zu viele Gedanken macht, zu sensibel ist, zu schwach für das Leben, in dem sie jeden Morgen aufwacht. Irgendwie falsch. Und obwohl ich während dieses Camps merke, dass ich ein eingeschlafenes Bein während der Meditation einfach wahrnehmen kann, ohne in dem Bedürfnis verhaften zu bleiben, das unangenehme Gefühl zu vertreiben, bin ich noch nicht bereit, um auf einer tieferen Ebene zu verstehen, was mir dort erzählt wird.


Heute. Ich war vor Kurzem beim Zahnarzt und habe eine Füllung bekommen. Kontrolle ist ein großes Thema für mich und es gibt wenig Situationen, in denen ich das Gefühl habe, mehr Kontrolle abgeben zu müssen. Es ist nicht so, dass ich bei allem die Kontrolle selbst übernehmen möchte, sondern dass ich mit Unvorhergesehenem nicht gut umgehen kann. Wenn ich mich auf etwas nicht einstellen oder vorbereiten kann, macht mich das nervös, manchmal sogar wütend oder handlungsunfähig. Kontrolle gibt mir Sicherheit. Manchmal reicht es auch, wenn ein vertrauter Mensch bei mir ist, um mir genug Sicherheit zu geben. Die letzten Wochen über war ich immer wieder beim Zahnarzt, um mich daran zu gewöhnen, in diesem Setting weder Kontrolle noch Vorbereitung zu haben. Ich hatte immer wieder Panik-Momente, musste Pause machen und meinen Atem beruhigen. Es fiel mir sehr schwer, zu vertrauen. Ich wehrte mich innerlich gegen die Ungewissheit. Doch als ich vor einigen Tagen dort war, ging es mir anders. Ich schaffte es, genau in diesem Modus zu sein. Ich vertraute darauf, dass ich es schaffen würde. Ich bereitete mich innerlich darauf vor, dass es unangenehm werden würde, aber befürchtete nicht das Schlimmste. Und so war es dann auch. Es war unangenehm, aber es gab keinen Moment, in dem die Panik in mir hochstieg. Ich brauchte keine Pause und hyperventilierte nicht. Und das gab mir so viel mehr ein Gefühl von Sicherheit als Kontrolle es je gekonnt hätte. Es war eine Erkenntnis, die mich mit Euphorie füllte. Ich war stolz und erleichtert und sprachlos.


Was sagt das jetzt über mein Selbst aus?


Das kann ich nicht beantworten. Ich weiß, dass ich mich von einer Sekunde auf die andere anders fühlen kann, anders denken kann, meine Meinung ändern oder mein Verhalten anpassen kann. Aber bedeutet es deshalb auch, dass sich alles an mir verändert? Vielleicht. Das Entscheidende für mich ist, dass es nicht darum geht, Dinge hinzunehmen oder passiv auszuharren. Veränderung heißt Bewegung. Ich muss nicht zu allem Okay sagen, sondern kann handeln. Darüber hinaus weiß ich aber auch, dass ich akzeptieren kann, was sich nicht ändern lässt. Die Wellenbewegungen des Lebens bieten die Möglichkeit, immer wieder wählen zu können, auf welche Welle man aufspringen möchte und welche man ziehen lassen möchte. Zwischendurch gelingt einem das vielleicht nicht, aber ich weiß, dass ich mein Bestes versucht habe.


Ich habe dazu ein interessantes Interview mit Ringu Tulku gelesen, den ich an dieser Stelle gerne zitieren würde:

Es geht nur darum, wie man an all das herangeht. Manchmal läuft alles gut und manchmal nicht, aber wir können einfach unser Bestes tun. Wenn ich mein Bestes tue und etwas gelingt – wunderbar. Wenn nicht, habe ich wenigstens mein Bestes versucht, und viel mehr kann ich nicht tun.

Ich wünsche mir, wählen zu können, was die unaufhaltsamen Wellen des Lebens mit mir machen. Ich möchte wählen können, ob ich schwimme, surfe oder tauche. Manchmal gelingt es mir, manchmal nicht. Wut ist die stärkste Emotion in mir, die mich mitreißen und festhalten kann. Ich kenne den Wutball in mir, der sich nur langsam wieder auflösen lässt. Ein harter Klumpen in meinem Magen. Ich kenne den Einfluss, den Worte und Taten anderer auf mich haben. Ich lerne und manchmal gelingt es mir, diesen Prozess als solchen anzunehmen. Dann wieder bin ich ungeduldig. Doch hinter allem höre ich ab und zu auch die Stimme in meinem Kopf, die sagt, dass ich mein Bestes gegeben habe.

 
 
 

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