Scheitern und vorwärts gehen
- Windgedanken

- 30. Juni 2024
- 5 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 29. Dez. 2024
Woher soll ich wissen, dass es nicht funktioniert, wenn ich es nie versuche? Ein klassischer Postkartenspruch.
If you never try you'll never know.
Große Träume fühlen sich beängstigend und auf eine gewisse Art auch anmaßend an. Warum sollte ausgerechnet ich gut darin werden? Warum sollte ausgerechnet ich damit Erfolg haben? Ich bin nichts Besonderes. Ich bin ein Mensch, wie jeder andere, und genau deswegen kann es auch, wie bei jedem anderen Menschen, für mich funktionieren. Aber warum sollte es?

Ich fühle mich zu jung, um die Weichen meines Lebens stellen zu können und habe gleichzeitig das Gefühl, dass genau jetzt die Zeit ist, in der ich für meine Träume leben sollte. Wenn nicht jetzt, wann dann? Wann werde ich noch einmal diese Möglichkeiten haben? Wann werde ich noch einmal so frei sein? Ich sehne mich nach so vielen Dingen und habe eine so klare Vision in meinem Kopf, aber fürchte mich davor, sie umzusetzen. Denn Scheitern scheint immer eine Option zu sein. Und so klar die Vision sein mag, so verschwommen erscheint mir der Weg.
Ich habe schnell das Gefühl, gescheitert zu sein. Sobald ich für einige Zeit nicht geschrieben habe, keine fixe Meditationsroutine hatte, oder ich mir für Wochen unsicher bin, ob ich mich auf dem richtigen Weg befinde, habe ich das Gefühl gescheitert zu sein. Gescheitert in consistency, darin Dinge zu Ende zu bringen und kontinuierlich an meinen Zielen zu arbeiten. Aber manchmal ist es mir zu anstrengend, an jedem meiner Ziele zu arbeiten. Manchmal will ich einfach nur alles fallen lassen und durchatmen, nachfühlen, was ich eigentlich möchte. Denn genau dann kommt die Klarheit wieder, genau dann merke ich ganz deutlich, in welche Richtung es mich zieht. Doch es fällt mir auch so schwer, einmal kurz innezuhalten, um nachzufühlen. Ich fühle mich hin- und hergerissen zwischen dem Wunsch, produktiv zu sein und immer weiter zu laufen und einmal durchzuatmen und Dinge von außen zu betrachten.
Ich wünsche mir seit Jahren, endlich ein Buch (fertig) zu schreiben. Doch statt all die Seiten zu sehen, die ich bereits aufs Papier gebracht habe, fühle ich nur das Scheitern, wenn ich wieder einen Buchanfang nicht zu Ende gebracht habe. Wenn mich nach 20 Seiten die Inspiration verlässt und ich nicht weiß, wie es weitergehen soll. Obwohl jede Seite mich meinem Ziel näherbringt. Jede Zeile ist Übung, die ich seit Jahren sammle. Ich sehe nur das mangelhafte Endresultat.
Ähnliches gilt fürs Meditieren. Ich meditiere seit Jahren sehr regelmäßig, aber eben nicht immer nur mit geschlossenen Augen auf dem Boden sitzend, während Regenrauschen durchs Wohnzimmer schwebt. Oft sind es Alltagsmomente, in denen mir bewusst wird, dass es mir gerade zu viel ist, ich mich kurz rausnehme und ganz bewusst für wenige Minuten atme. Ich mache das täglich. Doch es reicht nicht aus, um dem Gefühl des Scheiterns zu begegnen. Stattdessen füttert es die Überzeugung, dass ich offensichtlich nicht gut genug bin. Ich bringe Dinge scheinbar nicht zu Ende, wie sollte ich dann je erfolgreich werden? Ich bin offensichtlich nicht bereit, die Opfer zu bringen, die nötig werden, also kann das ja nichts werden. Ich bin nicht bereit, jeden Tag so zu strukturieren, dass ich mich kontinuierlich und messbar geradlinig nach vorn bewege. Meine Ansprüche an die Art und Weise, wie ich ein Ziel erreiche sind so hoch, dass ich mich von vornherein selbst blockiere. Ich schaue nur skeptisch auf den Weg, beinahe verächtlich, weil ich nicht dauernd Haken hinter To Dos setze und erzählen kann, wie super alles läuft. Dadurch fühlt sich auch die eigentliche Vision irgendwie dumm an. Ich belächle meine eigenen Bestrebungen, unterstütze mich nicht einmal selbst darin, obwohl es diesen Teil in mir gibt, der weiter daran festhält. Es gibt den Aspekt in mir, der davon überzeugt ist, dass ich es schaffen kann. Doch dann kommen zu schnell Ausreden um die Ecke. Die Fragezeichen und Unsicherheiten in meinem Hinterkopf stehen mir im Weg, es zu versuchen. Es wäre völlig okay, wenn es nicht gleich funktioniert, doch die Sorge vor der Frustration hält mich ab. Wie viele Versuche brauche ich noch, um endlich das zu machen, wofür ich brenne? Wie viele Veränderungen brauche ich, um stark genug zu sein?
Vielleicht fehlt es mir letztendlich an Vision. Vielleicht habe ich den Kontext vor Augen, aber nicht wirklich das Bild, das ich zeichnen will.
Ich merke auch, dass ich mich nicht vollständig darauf einlassen möchte. Die Gefahr des Scheiterns wächst, wenn ich zu viel meiner Energie und Leidenschaft in etwas stecke. Wenn ich alles gebe und es trotzdem nicht funktioniert, wie soll ich dann mit diesem Rückschlag umgehen? Im Grunde ist mir klar, dass ich es dann immer noch abhaken kann. Ich kann sagen Okay, ich hab es ernsthaft versucht und es hat nicht geklappt, fair, dann weiß ich jetzt, dass das nichts ist. Oder ich kann sagen Okay, das war mein erster ernsthafter Versuch, es ergibt völlig Sinn, dass es nicht auf Anhieb klappt, ich versuche es einfach nochmal. Ist dieses Fragezeichen abgehakt, kommt sofort das nächste um die Ecke. Denn was will ich eigentlich ernsthaft versuchen? Ist es, erfolgreich zu sein? Womit? Arbeit? Schreiben? Kreativität? Was bedeutet Erfolg? Will ich einfach ein Buch veröffentlich und dann wars das? Will ich etwas verändern? Will ich mir selbst beweisen, dass ich es kann? Und dann bin ich wieder verwirrt und weiß nicht, welche Entscheidung ich eigentlich gerade versuche zu treffen. Ist es überhaupt eine Entscheidung oder unnötige Zweifel, die ohnehin zu nichts führen? Ich drehe mich im Kreis, weil ich am Ziel sein will, ohne den Weg zu gehen.
Manche Dinge brauchen Zeit. Die besten Dinge brauchen Zeit und trotzdem spüre ich in mir die Ungeduld, die Unzufriedenheit mit dem Schwebezustand, den ich aushalten muss. Ich will Situationen nicht aushalten müssen. Oder mich dafür entscheiden, etwas auszuhalten. Ich möchte aktiv gestalten und das machen, das sich am richtigsten anfühlt und dann spüre ich die Frustration in mir aufsteigen, wenn sich etwas nicht so schnell ändern lässt. Ich hatte eine Vision für meinen Job und merke jetzt, dass der Weg dorthin deutlich herausfordernder ist, als ich dachte. Also zweifle ich an der Vision und frage mich, ob ich nicht etwas völlig anderes machen sollte. Mein Plan war es, zu promovieren, um anschließend in Richtung Hochschulbildung orientieren zu können. Jetzt stelle ich fest, dass ich nur Lehrerfahrung sammeln kann, wenn ich unbezahlt Seminare halte. Obwohl ich ohnehin schon nicht für das bezahlt werde, das ich leiste. Das stört mich und lässt mich infrage stellen, ob das dann wirklich der Weg ist, den ich gehen möchte, wenn ich dafür diese Bedingungen akzeptieren muss. Gleichzeitig möchte ich schreiben. Schreiben ist meine Leidenschaft, aber ein Buch zu schreiben ist eine riesige Hürde, wenn man „nebenbei“ promoviert. Also versuche ich es mit einem Blog, merke aber schnell, dass ich auch damit nicht 100% zufrieden bin. Es scheint nicht genug, um es „wirklich“ zu versuchen. Ich stelle infrage, was ich tue, weil nichts davon perfekt ist. Es läuft nicht genau nach Plan, ist nicht genau das, was ich machen möchte. Ist es trotzdem genug? Oder erstmal genug? Auch das kann ich nicht beantworten.
Ich fühle nur Fragezeichen in mir und merke, dass es unmöglich ist, heute meine Zukunft zu schreiben. Ich kann sie nur leben, von Tag zu Tag und irgendwann zurückblicken und merken, wie weit ich schon gekommen bin. Während ich zugleich jeden Tag das Gefühl habe, von vorne anzufangen. Vielleicht ist das jetzt genau der Ort, an dem ich sein sollte, weil er mich dorthin bringen wird, wo ich in 5 Jahren sein werde. Ist es das dann wert? Ist es meine Energie jetzt wert, wenn ich erst in mehreren Jahren dort sein werde? Es ist so paradox, dass ich einerseits so viel von Meditation und Präsenz halte, während ich zugleich so schlecht darin sein kann, die aktuelle Situation zu akzeptieren und dadurch das Beste aus ihr zu machen. Denn was, wenn jetzt der Moment ist, den ich nicht akzeptieren, sondern Veränderung anstoßen sollte?



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