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Was, wenn es an mir liegt?

  • Autorenbild: Windgedanken
    Windgedanken
  • 15. Juni 2024
  • 6 Min. Lesezeit

Wirklich erkannt, wie viele Narben ich trage, habe ich erst in einer neuen Beziehung. Sie hat mir all meine Schattenseiten gezeigt.

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Woher soll ich wissen, dass ich genug bin?


Eine Frage, die immer wieder durch meine Gedanken spukt. Ich kann es nicht wissen und das macht mich manchmal verrückt. Ich will Beweise, irgendetwas, das mir ganz klar sagt "Ha! Ich wusste es! Du bist genug!". Komischerweise kommen die aber nicht. Also stelle ich mir immer wieder diese Frage, suche nach Antworten und habe Angst, dass ich plötzlich merke, dass ich es nicht bin. Dass andere merken, dass ich es nicht bin. Dass sich meine Befürchtungen bestätigen und es wieder nicht gereicht hat, was ich geben konnte. Dass ich wieder plötzlich allein dastehe, mich machtlos fühle und dabei so entsetzlich schuldig. Schuldig, weil ich das Problem bei mir suche, um mir ein Gefühl von Handlungsfähigkeit zu erschleichen, die mir durch die Entscheidung des anderen genommen wurde. Weil es sich anfühlt, als hätte ich keine Wahl gehabt. Als wäre ich nicht beteiligt gewesen an dieser Entscheidung, die mein Leben völlig verändert hat.


All meine Fehler sind mir überdeutlich bewusst. Ich versuche Verständnis dafür aufzubringen, dass ich verlassen worden bin und fühle mich danach noch mieser. Klar ist er gegangen, ich kann es nachvollziehen. So, wie ich mich verhalten habe, war das für ihn nicht mehr auszuhalten. Ich habe die Verantwortung an ihn abgegeben, habe erwartet, dass er mich rettet vor meiner eigenen Verzweiflung. Natürlich war das nie seine Aufgabe. Es ist für uns beide besser, dass er es beendet hat.


So gemeine Gedanken, die eine so große Last auf meine Schultern legen. Denn wie kann ich in diesem angeblichen Verständnis für mich da sein? Wie soll ich mit meinem eigenen Schmerz und diesem miesen Gefühl des Verlassen worden seins umgehen, wenn ich gedanklich nur bei der anderen Person bin und mich selbst abstemple? Wenn ich Verständnis zeige für das, was er getan hat und ihm dadurch die Legitimation erteile, nicht mit mir zu sprechen, mich außen vor zu lassen, mich fallen zu lassen. Das kann nicht funktionieren. Mein Versuch, niemanden zu verurteilen, Verständnis für alles zu haben, ruhig und still zu bleiben, wird zu einem Selbstangriff. Ich verliere die Schutzmechanismen meines Selbstwerts, indem ich all diese Gefühle in mir niederbügle. Wut auf die andere Person ist gesund und wichtig. Eben nicht verstehen zu können, warum er sich von mir getrennt hat, hilft, um damit umgehen zu können. Um irgendwie den Drive zu haben, weiterzumachen. Die Wut hilft bei der Abgrenzung von der Person, die bis zu diesem Tag ein zentraler Bestandteil des Lebens war. Und Abgrenzung ist das was ich gebraucht hätte, um mich in meinem verzwickten Leben zurechtzufinden. Sobald eine gewisse Form von Stabilität zurückgekehrt ist, kann auch die Skepsis zurückkehren und diese leise Stimme, die über all die Dinge nachdenkt, die man tatsächlich verbockt hat. Doch ich wollte selbst in dem Moment meines größten Schmerzes noch das Bild einer verständnisvollen, zurückhaltenden Freundin aufrechterhalten, die ihm den Rücken stärkt, was immer es sie kostet.


Es kostete mich meine Überzeugung, genug zu sein. Ein Teil von mir glaubte plötzlich nicht mehr daran. Als hätte ich erst in dem Moment begriffen, dass Menschen gehen konnten. Freiwillig. Dass sie sich dafür entscheiden konnten, nicht länger Teil meines Lebens zu sein. Diese Erkenntnis ließ mich meine ganze Person infrage stellen. Vergangener Schmerz wurde aufgewirbelt, während ich in dem aktuellen ertrank. Ich verlor den Halt.


Danach misstraute ich jedem noch so deutlichen Zeichen der Zuneigung, egal wer vor mir stand. Das Handeln einer einzigen Person trieb mir den Dolch in den Rücken, der meinem Vertrauen das Rückgrat durchtrennte. Ich wartete immer nur auf das Erwachen des anderen. Ich wartete darauf, dass sich Menschen wie er erwiesen, feige und leise, bis sie plötzlich feststellten, dass ich es nicht mehr wert war. Dass ich kein Wort mehr wert war, keine Erklärung von Angesicht zu Angesicht. Fallen gelassen, als wären es keine drei Jahre gewesen. Von einem Tag auf den nächsten keinen Kontakt mehr. Als hätten wir nicht all diese Erfahrungen geteilt. Als wäre ich nie wichtig gewesen. Wie kann ich wichtig gewesen sein, wenn er in der Lage war, es so enden zu lassen?


Heute wohne ich mit jemand anderem zusammen. Er ist bei mir geblieben. Ich spreche mit ihm, offen und ehrlich. Ehrlicher als ich es je kannte. Er versucht mich zu verstehen. Und ich beginne mich selbst durch ihn wirklich zu verstehen. Ich erkenne all die Ungereimtheiten, die sich mein Kopf ausgedacht hat, um mir vergangenen Schmerz ein zweites Mal zu ersparen. Die Angst in mir will mich vor dem Loch schützen, das so tief und so dunkel war. Wie ein Schatten in meiner Vergangenheit. Die Erinnerungen an diese Zeit bestehen aus Panikattacken, täglichen Kämpfen gegen mich selbst, ständiger Anspannung, Erschöpfung und Fluchtinstinkt. Natürlich möchte ich das nicht mehr. Die Angst vor der Angst von damals scannt jedes winzige Signal und liefert hervorragende Interpretationen, die komischerweise immer darauf hinauslaufen, dass mich jemand verlassen wird. Dass ich vorbereitet sein muss. Doch in all dem verblassten Schmerz erkenne ich manchmal nicht, wie anders er ist. Wie anders diese Beziehung mit ihm ist. Und wie viel von meinen Unsicherheiten mit ihm keinen Sinn mehr ergeben.


Ich bin ein emotionaler und sensibler Mensch. Ich kenne Unsicherheit, den Fehler bei mir zu suchen, mich verantwortlich zu machen. Deshalb hat diese eine Erfahrung, gefolgt von drei schwierigen Jahren, tiefe Spuren hinterlassen, die mich noch immer prägen. Sie mögen keinen Sinn ergeben, ein emotionales Chaos voller Ambivalenzen. Aber sie sind ein Teil von mir. Es mag allen um mich herum klar sein, dass ich inzwischen älter bin, dazugelernt habe und Vieles aufgearbeitet habe. Doch in mir ist an diesem Tag im August vor sechs Jahren ein Teil steckengeblieben. Ein jüngeres Ich, das die Welt nicht mehr versteht, weil jemand, von dem es dachte, er würde es lieben, es so verletzte und anschließend keinen Blick zurückwarf. Mein älteres Ich ist da und versucht, diesen Teil in mir zu trösten. Doch manchmal ist die Erinnerung an vergangene Gefühle zu deutlich. Ich möchte nicht dorthin zurück. Und manchmal hätte ich gerne nur einmal die Möglichkeit, all meine Wut an ihm auszulassen, ihm all das entgegenzuschleudern, wofür ich ihn verantwortlich machte, während ich zugleich die Schuld bei mir suchte. Ich habe Fehler gemacht. Natürlich. Ich war verschlossen und habe nicht darüber gesprochen, wie schlecht es mir in dieser Zeit bereits ging. Es fing vor der Trennung an. Doch das schiebe ich gerne beiseite, weil es leichter ist, alles mit einer Sache zu erklären. Meine Welt ist schon zwei Jahre früher völlig aus den Fugen geraten. Er kam nicht an mich heran, während ich weiterlief, weiterfunktionierte, weinte und weitermachte. Er war da, immer bereit zum Zuhören. Aber ich habe nicht gesprochen. Ich habe genervt reagiert, abweisend, über Monate hinweg. Ich wollte ihn nicht sehen, habe aber nichts gesagt. Ich habe gelitten, ohne dass es mir bewusst war. Das Kartenhaus stürzte in sich zusammen und ich hielt mich an allem fest, das ich greifen konnte, ohne einen Blick auf die Trümmer zu werfen. Die Trennung hat mich gezwungen hinzusehen. Ich musste mich mit mir auseinandersetzen, weil ich plötzlich nicht mehr funktionierte. Alles brach über mich herein. Ich ertrank in Emotionen.


Und ich ging als anderer Mensch daraus hervor. Zerschunden, mit Narben und noch mit ein paar offenen Wunden, aber holy war ich gestärkt. Ich habe die Dunkelheit in mir gesehen und ich kann euch sagen, das Licht danach ist auf einem anderen Level hell. Es fühlte sich wie ein Wunder an, frei lachen zu können. Und Dankbarkeit! Ich weiß nicht, ob es ein schöneres Gefühl gibt. Heute kenne ich ein Davor und ein Danach. Im Danach habe ich das Gefühl, handlungsfähig zu sein. Ich wähle die Erfahrungen, die ich sammeln möchte. Ich genieße es zu tanzen, ohne dass jemand zusieht. Andere Menschen kennenlernen, ausziehen, umziehen, Freunde, die zu Fremden werden, neue Freunde, Cafés und Buchläden und Spaziergänge und Kreativität. Die schönsten Abende seit Jahren. Neue Hobbys, Wanderungen, Zeit mit mir allein. Und immer wieder diese Dankbarkeit, als würde ich das Leben zum ersten Mal wirklich entdecken.


Also wenn du dich fragst: Liegt es an mir, weil ich nicht genug bin? Dann lautet die Antwort: Nein. Du bist weder das Problem noch trägst du Schuld. Er- oder irgendjemand - hat eine Entscheidung getroffen und deine Aufgabe ist es, mit dieser Entscheidung umzugehen. Du bist verantwortlich für dein Handeln und den Umgang mit deinen Emotionen. Du bist nicht schuld daran, wenn dich andere Menschen schlecht behandeln, dich verletzen oder dich enttäuschen. Doch du kannst Verantwortung übernehmen, indem du Grenzen setzt, für dich einstehst und lernst, deine Emotionen zu regulieren. Dadurch gibst du dir deine Handlungsfähigkeit zurück, anstatt eine andere Person dafür verantwortlich zu machen, wie es dir geht und dir gleichzeitig selbst die Schuld daran zu geben.


 
 
 

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